BANDIT VON PACCHARUN
Anderl von Paccharun x Aica von Paccharun
28.06.2016 - 26.03.2018

Tot ist überhaupt nichts:
Ich glitt lediglich über in den nächsten Raum.
Ich bin ich, und ihr seid ihr.
Warum sollte ich aus dem Sinn sein,
nur weil ich aus dem Blick bin?
Was auch immer wir füreinander waren,
sind wir auch jetzt noch.
Spielt, lächelt, denkt an mich.
Leben bedeutet auch jetzt all das,
was es auch sonst bedeutet hat.
Es hat sich nichts verändert,
ich warte auf euch,
irgendwo
sehr nah bei euch.
Alles ist gut.
Annette von Droste-Hülshoff

Das Folgende diente mir der Aufarbeitung, dem Festhalten, dem Bestehen. Auf dass unser Erlebtes, unsere Verbindung nicht totgeschwiegen oder gar vergessen wird. 


Es begann mit Bandit.


Meine Liebe zu dieser Rasse, mein Wunsch erfolgreich mit dem Hund als Partner im Hundesport zu arbeiten, mein fortwährendes Drängen, Hunde besser zu verstehen.


Dieser Hund war wirklich alles für mich.


Ich hatte mir lange Zeit gelassen, bevor ich mich entschied einen Gebrauchshund ins Haus zu holen, damit Selbiger ausreichend beschäftigt werden kann. Mittlerweile waren die Kinder groß genug und mein Beruf ließ genügend Raum für einen Vierbeiner dieses Kalibers. Während die Vorüberlegungen ausgereift waren, war es die Wahl des eigentlichen Hundes nicht: Bandit war das Kind zweier Wurfgeschwister, die bei Zeugung gerade einmal 8 Monate alt waren. Genetisch und epigenetisch gesehen eine Katastrophe. Aber das war kein Geheimnis und wir entschieden uns –blauäugig- für den kleinen Kerl. Weil wir Menschen hoffen und immer davon ausgehen, dass alles gut geht. Denn nur so bestehen wir doch in dieser Welt: mit einem positiven Blick darauf. 

Ich bereue in keiner Minute den Tag, an dem ich ihn in unser Leben holte. 


Bandit war hochintelligent. Er lernte ein zuverlässiges „Voraus“ in 3 kurzen Einheiten, er fährtete schon als Junghund intrinsisch motiviert und war mit 15 Monaten nicht nur fertig für die Begleithundprüfung, sondern auch für die FH2. Ich werde nie unsere letzte Unterordnung vergessen, welche er ohne Erwartung an Futter oder Beute für mich und mit mir zusammen mitten in der Nacht auf unserem Hof lief.


Doch das Schicksal sah einen anderen, harten Weg für uns vor. 


Physisch stand es seit Welpenzeit nicht gut um ihn: Er hatte immer Durchfall, sein Fell war dünn, an einigen Stellen nackt, er neigte zu Hotspots, lief immer steif wie ein Holzpferdchen, streckte sich nie und schielte unter Stress. Er reagierte auf Zeckenhalsbänder und –spot ons allergisch. Arztbesuche brachten keine Ergebnisse, die Röntgenbilder waren unauffällig. Er stand immer unter Strom, obwohl er gelernt hatte sich zurückzunehmen. Ich achtete penibel auf seine Gesundheit und überließ nichts dem Zufall. Ich beschäftigte mich intensiv mit jedweder Art von Futter, mit Medikamenten und Homöopathie. Mit all diesen Dingen hätten wir, und vielleicht auch er, leben können.

Jedoch nicht mit der steigenden Aggressivität mit zunehmenden Alter.


Dass wir von Anbeginn keine Chance hatten ihn zu retten, weiß ich heute.


Der Prozess begann schleichend. Bandit ließ sich zeitlebens nur sehr schwer einregeln. Er kannte keinen Schmerz und war hart im Nehmen. „Dann tat es nicht weh genug!“ hörte ich oft. Doch wo ist das Maß dafür? Ich habe und werde nie bei einem Lebewesen rohe Gewalt anwenden. 

Dass wir ein ernsthaftes Problem hatten wurde deutlich, als er einen unserer Jungs in den Arm biss, als der die Couch gerade schob, es erhärtete sich als er scheinbar aus der Kalten auf dem Hundeplatz einen der Ausbilder schnappte und manifestierte sich in einem tobenden Hund, der mich und meinen Mann zur Wundbehandlung ins Krankenhaus beförderte.


Da bei der Hund-Mensch-Beziehung die Ursache für Probleme nach allgemein gültiger (falscher) Sichtweise zumeist hinten an der Leine liegt, arbeiten wir hart an uns. Wir holten uns Hilfe und wurden strenger und klarer in unserem Handeln. 

Dennoch stand die Luft still, wo auch immer wir Beide auftauchten. Sein Ruf eilte ihm voraus. Die Menschen sahen schon in seinem jungen Alter, dass er anders war, als die ihnen bekannten Hunde. Nur richtig einordnen konnte ihn keiner so wirklich. Und was der Mensch nicht versteht, macht ihm in der Regel Angst.


Und dennoch hielt ich jeden Druck und alle Gewalt von ihm fern, er sah keinen Stachel oder eine Schlinge. Denn im Herzen war Bandit weich. 

Zu dem starken Hund, den er nach außen markierte wurde er unter anderem durch gutes Umwelttraining seit Welpenalter. Flucht als Option gab es nie, wenn er Angst vor etwas hatte gingen wir Beide gucken und vergewisserten uns, dass die Welt nicht gefährlich ist. Eigentlich. 

Mit fortlaufender Zeit ließ er sich, abgesehen von Begrüßungsszenarien die Familie betreffend, von Niemandem mehr berühren, als von mir. 

Während er früher liebend gern mit unseren Kindern schmuste, ging er nun allen aus dem Weg. Nur widerwillig ließ er sich bürsten, in den Fang oder an die Pfoten schauen.


Nach einem heftigen Beißvorfall gegen meinen Mann zog ich sogar in Erwägung ihn in kompetentere Hände zur Polizei zu geben, damit er es gut hat. Doch auch das ging gänzlich schief, denn auch hier scheiterten rasseerfahrene Menschen an ihm.


Zeitgleich lernte ich Martin kennen, der in seinem DOGWERK® Hunde resozialisiert. Er behielt Bandit einige Wochen und ich bekam ihn schließlich zurück.


Mit Martin gemeinsam versuchten wir alles, diesen Hund zurück oder –besser– überhaupt ins Leben zu holen. Manchmal gab es Hoffnung und wir schafften es kurzfristig eine heile Welt um ihn zu bauen, in der er stabil wurde. Aber das war nicht von Dauer. 

Bandit fühlte sich in seinen täglichen Strukturen aufgehoben. Ritualen waren derart wichtig für ihn, dass kleinste Abweichungen zu Katastrophen führen konnten.


Bei minimalem Druck (das Festhalten am Geschirr o.ä.) reagierte er, als ginge es um sein Leben. 

Ab und an kam er, um sich streicheln zu lassen zu Bekannten, um kurz danach einzufrieren und zu attackieren. Ich beobachtete ihn mit Argusaugen. Ich musste lernen Nuancen in seiner Körpersprache wahrzunehmen, wenn es sie überhaupt gab, um seine nächsten Schritte vorauszusehen. Mein gesamter Fokus, mein ganzes Leben richtete sich nach ihm.


Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen, trotz positiver menschlicher Kontakte wurde er immer misstrauischer. Seine Aggressionsbereitschaft stieg mit jeder Tagesstunde. Morgens war Bandit zumindest mir gegenüber ein lieber, anhänglicher Hund, abends waren wir froh, ihn heil in die Box bekommen zu haben. Ob diesem Ablauf eine Schmerzreaktion zu Grunde lag, weiß niemand. 

Seine Körpersprache war für andere, nun zusätzlich zu Rate gezogenen Experten schwer lesbar. Als wir ihn vorstellten, zeigte er verschiedenste Aggressionsverhalten, die alle für sich einzeln gesehen durchaus Sinn gemacht hätten, vereint in einem einzigen Hund jedoch äußerst ungewöhnlich waren.


Auf Anraten von Udo Gansloßer, der den Hund live gesehen und erlebt hat, wollten wir Bandits Blut von ihm auswerten lassen, der Anamnesebogen lag Udo bereits vor.


Bandits letzte drei Tage waren geprägt von einem Strudel der Aggression und begannen mit dem Springen und Beißen gegen die Boxentür in unserer Wohnung, die ich nur mit meinem Fuß zudrücken und mit einem Holzscheit schließen konnte. Der Sonntag endete mit einer Wut gegen unsere Kinder, die es so niemals zuvor gegeben hat. Vielmehr freute er sich noch 48h vorher ungemein über die Beiden. Nunmehr nahm mir das Leben die Zügel komplett aus der Hand. Wir lebten ausschließlich im Hier und Jetzt. Meine ganze Hoffnung lag in Auffälligkeiten im Blutbild und den damit verbundenen Möglichkeiten einer Behandlung. Dass ich ihn verlieren könnte war keine Option in meinem Kopf, dazu hatten wir bis jetzt schon zu lange gekämpft, zu viele Tränen vergossen. Ich war felsenfest davon überzeugt, dass sich unser Schicksal zum Guten wendet.


So fuhren Martin und ich Montag in die Klinik und sprachen dort mit dem Arzt ab, wie wir Bandit möglichst stressfrei Blut abnehmen können. 

Doch er ließ sich nicht aus dem Anhänger nehmen, er reagierte auf kleinste Bewegungen und auf Zureden mit ernsthaften Aggressionen nachvorn in die Gitterstäbe. Er deaktivierte sich in keiner Minute. Wir schilderten dem Arzt, der den Hund auch seit Welpenalter kannte, alle Symptome und die Begebenheiten der letzten drei Tage. Die Klinik vermutete unter anderem einen Lebershunt, welcher in den 1,75 Jahren die Giftstoffe aus dem Körper direkt ins Gehirn leitete, die gesunden Teile des Hirns waren nicht mehr in der Lage die Kranken auszugleichen. Vielleicht waren es auch tiefgreifende hormonelle Störungen wie Udo Gansloßer vermutete. Zu retten wäre er nicht gewesen.


Und letztendlich musste ich eine Entscheidung treffen.


Bandit wurde in meinem Beisein mit dem Narkosegewehr im Anhänger demobilisiert und anschließend eingeschläfert.


...


Meine Welt stand still.

Ich hätte ihn obduzieren lassen sollen. 

Aber ich konnte es nicht. Ich war nicht vorbereitet auf diese Situation.

Ich konnte mich noch nicht einmal lösen von meinem Hund.

Und ich werde nie vergessen unter welchen Umständen er starb. 


Nur durch ihn und die intensive Zeit mit und nach ihm stehe ich heute als der Mensch da, der ich bin. Nur durch ihn kamen und gingen Menschen in und aus unserem Leben. Die Spreu trennte sich vom Weizen. Ich habe viel geweint, geflucht und gehasst. Ich habe im Laufe der Zeit gelernt Unwissenheit auszuhalten und Boshaftigkeit zu ignorieren.


Heute habe ich einen Kreis Menschen um mich herum, von denen ich vorher nie zu träumen gewagt habe. Wertvolle Zugewinne, die erst möglich wurden, durch das tiefe Tal, welches wir durchschreiten mussten.

Dafür war er auf der Welt…


Ich habe mich durch die prägende Zeit mit Bandit sehr intensiv mit Aggressionen beschäftigt, welche grundlegend ja eine Kernkompetenz für soziales Verhalten darstellen. Für mich stand die Frage im Raum, weswegen wir es bei manchen Hunden nun partiell mit nicht erwünschten, destruktiven Aggressionen zu tun haben. Dem Verallgemeinernden „Das Problem liegt immer hinten an der Leine“ kann ich schon längst nicht mehr folgen.


Nicht immer sind Unsicherheit, Frust oder Lustgewinn die Ursache für Aggressionen. Im Ausschlussverfahren bleibt Folgendes stehen: Ein Hund ist ein ebenso komplexer Organismus, wie der Mensch. Und wie es auch bei unserer Spezies zu physischen und psychischen Problemen kommt, sind auch Tiere davor nicht gefeit. Schmerzen oder andere Störungen (Hormone - hier vor allem die Ausschüttung/der Abbau des Stresshormons; fehlerhaft funktionierende Hirnareale; Wahrnehmungsdefizite; Tumore...) können plötzlich oder schleichend zu nicht händelbaren Aggressionen führen. Eins haben mich die Erfahrung der Vergangenheit gelehrt: ein Gesundheitscheck (großes Blutbild, Röntgen, Zahn-/Augenkontrolle, etc.) kann bei der Abklärung über die Herkunft mancher Aggressionen helfen. Dennoch können Ursachen zu Grunde liegen, welche sich noch nicht einmal beim Menschen diagnostizieren lassen. Depressionen, Panikzustände, undefinierbare Schmerzen... diese Aufzählung lässt sich mit Sicherheit um ein Vielfaches erweitern. Nur können wir Menschen uns untereinander verständigen. Was dennoch keine Garantie auf Heilung ist. 

Und unser Hund? Zeigt er Anzeichen, dass etwas nicht stimmt? Sehen wir die? Und deuten wir sie richtig?


Wie auch bei uns Menschen, gibt es sicher auch bei den Hunden Exemplare die härter, und welche die zarter besaitet sind. Tiere, die Schmerzen lange wegstecken und welche, aus denen es herausbricht. Eventuell sogar durch Aggressionen gegen den eigenen Halter.


Darüber hinaus forschen seit Jahrzehnten Wissenschaftler rund um den Globus, weswegen Menschen zu Mördern werden. Unter Zuhilfenahme von Kernspintomografen werden Hirnstrukturen untersucht, weil Fehler in den Hirnarealen vermutet werden. Eine 100%ige Auswertung über auslösende Momente liegt bis heute nicht vor. Und wir erdreisten uns zu sagen, sowas kommt lediglich bei uns Menschen vor? Wir dürfen niemals vergessen, dass es manchmal nicht so ist wie es scheint, oder wie wir es gerne sehen möchten. Wir müssen nachfragen, beobachten, uns ausreichend fundiertes Wissen aneignen, bevor wir über Menschen und deren Hunde urteilen.



Bandit… 
Ich habe dich bei deiner geliebten Wiese begraben, am Waldrand. 
Rechts neben dem kleinen stinkenden Teich, in den Du nie gesprungen bist. 
Schräg gegenüber dem alten Baum, dessen tote Äste Du so voll von Lebensfreude gepflückt hast. 
Links neben dem Bachlauf, durch den Du wie ein Wahnsinniger jedes Mal ranntest. 

Viele, viele Wochen war ich jeden Tag bei dir. 
Manchmal bin ich gegen die Zeit gefahren, um noch irgendwie vor Sonnenuntergang bei Dir zu sein. Manchmal bin ich mit dem Auto im Dunkeln 
über die Wiese gefahren, um wenigstens „Hallo“ zu sagen. 
Irgendwann musste ich mich lösen von dieser Routine, dieser so freiwilligen Abhängigkeit. Um zurück zu finden. Zu einem Leben ohne Dich. 
Fehlen tust Du mir immer noch. 

Ich wünsche Dir, dass Deine kleine Seele irgendwo in einem gesunden Körper ein Zuhause fand.
Und wenn dies nicht der Fall ist, dann wünsche ich Dir auf der anderen Seite eine Wiese... 
einen Waldrand... 
einen kleinen stinkenden Teich... 
einen alten Baum mit niedrig hängenden Ästen 
und einen leise dahinfließenden Bachlauf. 

Ich liebe Dich, und ich bin Dir dankbar.
Für unsere gemeinsame Zeit.


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